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37. Дискуссии по поводу современного состояния в психоаналитической теории бессознательного И. Кремериус (Diskussion über den heutigen Stand der Theorie des Unbewuβten in der Psychoanalyse. J. Cremerius)

37. Diskussion über den heutigen Stand der Theorie des Unbewuβten in der Psychoanalyse. J. Cremerius

Lehrstuhl fur Psychotherapie der Universitat Freiburg, BRD

Die Diskussion über den psychoanalytischen Begriff des Unbewuβten leidet daran, daβ nicht scharf zwischen der topographischen und der strukturellen Auffassung unterschieden wird, und daβ Freuds Feststellung, daβ die eine die andere auihebe, unberucksichtigt bleibt. 1923 stellt er iest, dap die Begriffe Unbewuβtes und Vorbewuβtes von nun an nur noch in einem qualitativen oder deskriptiven Sinne verwendet werden sollten. Er schlägt vor, zwischen den phänomenologischen und systematischen Bedeutungen dieser Begriffe eine klare Trennung vorzunehmen. Die systematischen Bedeutungen sollten aufgegeben werden, da sie mit seinen neuen Vorstellungen vom see-lischen Apparat, die die Form der Strukturtheorie annahmen, nicht in Einklang zu bringen waren.

Ich will nun die topographische mit der Strukturtheorie vergleichen, um zu zeigen, daβ die beiden Theorien nicht miteinander zu vereinbaren sind.

Dieser Theoriewandel hat einen neuen Begriff des Unbewuβten geschaffen, der heute interaktionell, interpersonal definiert werden kann. So wird das Unbewuβte verstandlich als die Abbildung unserer gesellschaftlichen Realitat in der Psyche des Individuums.

Unterschiede zwischen den beiden Theorien

1. Das Prinzip, auf Grund dessen die topographische Theorie den Seelenapparat in Systeme einteilt, ist das der Zugänglichkeit für das Bewuβtsein, ein Prinzip, das schon in den Begriffen des Systems Ubw, Vbw und Bw zum Ausdruck kommt. Die Anwendung dieses Prinzips beruht auf der Vorstellung, daβ eventuell auftretende seelische Konflikte sich zwischen den für das Bewuβtsein jeweils zugänglichen und unzugänglichen Elementen der Seele abspielen. Nach der topographischen Theorie ist der triebhafte Aspekt des seelischen Konflikts dem Bewuβtsein unzugänglich, während es zu dem triebhemmenden Aspekt durchaus Zugang findet. Die Strukturtheorie dagegen zerlegt die Seele auf Grund ganz anderer Kriterien in einen triebhaften Anteil, in einen die moralischen Funktionen umfassenden Teil und in einen Teil, der zwischen diesen beiden Teilen und der Auβenwelt vermittelt. Die Strukturtheorie zerlegt die Seele in dieser Form, um den sich auf seelische Konflikte beziehenden klinischen Daten gerechter zu werden. Solche Konflikte ereignen sich vornehmlich zwischen dem Ich und dem Über-Ich, sowie zwischen dem Es und dem Ich mit Über-Ich. Auβerdem ist, wie wir gesehen haben, die Beziehung zwischen Konflikt und Zugänglichkeit fur das Bewuβtsein vielschichtiger und variabler, als die topographische Theorie dies erkennen läβt. So konnen triebhafte Elemente dem Bewuβtsein manchmal zugÜnglich sein, wÜhrend ihm triebhemmende Elemente ohne die Hilfe des Analytikers sehr oft unzugänglich sind.

2. In Übereinstimmung mit den soeben erwähnten Annahmen behauptet die topographische Theorie, daβ in Konfliktsituationen die triebhemmenden Kräfte den triebhaften Elementen den Zugang zum Bewuβtsein versperren. Abwehr ist demnach ein Synonym von Verdrängung. Nach der Strukturtheorie ist die Verdrängung ein Abwehrmechanismus unter vielen. Einige dieser Abwehrmechanismen, wie die Isolierung und das Ungeschehenmachen, laufen nicht darauf hinaus, daβ Triebabkömmlingen der Zugang zum Bewuβtsein versperrt wird, wie dies bei der Verdrängung der Fall ist. Auβerdem kann sich das Ich, wie wir bemerkt haben, für den Zweck der Abwehr aller ihm zur Verfügung stehenden Mittel bedienen, sogar des Mittels der Triebbefriedigung.

3. Der topographischen Theorie nach entsteht durch Verdrängung die Situation, die die Entwicklung neurotischer Angst ermöglicht. Gelingt die Verdrängung nicht, kann sich die verdrängte Libido in neurotische Angst verwandeln. Demnach geht die Verdrängung der Entwicklung neurotischer Angst voraus und ist die Voraussetzung dafur. Dagegen sieht die Strukturtheorie in der Angst das Motiv zur Verdrängung oder zu einer anderen Form der Abwehr. Das Ich errichtet eine Abwehr gegen eine Triebregung des Es, da es im vorhinein annimmt, daβ jene Triebregung, falls sie befriedigt würde, zu einer traumatischen Situation führen würde. Der Strukturtheorie nach stellt also (a) die Angst eine vorweggenommene Gefahr dar, sei sie nun tatsächlich oder nur in der Phantasie vorhanden, und geht (b) die Angst der Abwehr voraus, nicht umgekehrt.

4. Sowohl die Strukturtheorie als auch die topographische Theorie nehmen an, daβ sich die psychische Energie von den Trieben herleitet. Die psychoanalytische Triebtheorie erfuhr jedoch 1920 mit der Veröffentlichung der Schrift "Jenseits des Lustprinzips" einen radikalen Wandel, der in deutlich sichtbarer Beziehung zur Einführung der Strukturtheorie stent. Vor 1920 zählten zu den Trieben die sexuellen (libidinösen) Triebe und die Ich-Triebe. Danach wurden sie in libidinose und aggressive Triebe eingeteilt. Auf [der Grundlage rein formaler oder rationaler Überlegungen scheint die Veränderung der Trieblehre in keinem Zusammenhang mit der Veranderung der Theorie des Seelenapparates zu stehen, die Freud innerhalb der nächsten 3 Jahre vornahm. Vielleicht hätte Freud die Aggression im Rahmen der topographischen Theorie als einen unabhängigen Trieb einführen können, ohne dabei die Bedingungen der Logik oder des inneren Zusammenhanges zu verletzen, wenngleich es für ihn sehr schwer gewesen ware (Hartmann, 1948). Es scheint jedoch sehr wahrscheinlich zu sein, daβ die Einfuhrung des Begriffs eines aggressiven Triebs in engem Zusammenhang mit den den Seelenapparat betreffenden neuen Entwürfen stand, die in der Schrift "Das Ich und das Es" enthalten sind, wenngleich Freud selbst diesen Zusammenhang nicht ausdriick-lich herstellte.

Seit 1915 war sich Freud über die Bedeutung selbstzerstörerischer Tendenzen immer klarer geworden (vgl. zum Beispiel "Trauer und Melancholie", 1917 ), und der Schluβ, daβ gerade die Beobachtung dieser Tendenzen im seelischen Geschehen des Menchen zur Theorie vom Aggressionstrieb einerseits und vom Über-Ich andererseits führte, scheint unumgänglich zu sein. Wenn diese Annahme zutrifft, ist der Unterschied zwischen der Strukturtheorie und der topographischen Theorie im Hindblick auf die Rolle, die die Aggression im seelischen Geschehen spielt, kein zufälliger. Diese Rolle scheint eher mit einem echten Unterschied verknüpft zu sein, der die beiden Theorien durch eine tiefe Kluft voneinander trennt: Die Funktionsweise der gegen sich selbst gerichteten Aggression ist für jene Teile der Strukturtheorie von grundlegender Bedeutung, die das Über-Ich betreffen, während sie in der topographischen Theorie keine vergleichbare Rolle spielt (Arlow, 1956).

5. Die topographische Theorie entwirft den seelischen Apparat analog einem "Reflexapparat". Diese Analogie, die in den bekannten Illustrationen in Kapitel VII der "Traumdeutung" dargestellt ist, hat einige Schwierigkeiten bereitet und zu Verwirrung Anlaβ gegeben, worauf beispielsweise Fisher (1957) hingewiesen hat. Im Diagramm befindet sich das System Vbw am motorischen Ende des Apparats, doch das System Vbw, wie Freud selbst im Begleit-text deutlich macht, übt auch am sensiblen Ende des Apparats verschiedene Funktionen aus, eine Vorstellung, die in Widerspruch mit der Analogie zur Reflexion stent. Das Festhalten an dieser Analogie führte auβerdem zu Postulaten die die normale Richtung des Energieflusses innerhalb des Apparats betrafen; diese Postulate sind nicht leicht miteinander in Einklang zu bringen; Normalerweise pflanzt sich die Erregung vom sensiblen zum motorischen Ende fort, doch werden angeblich im frühen Kindesalter vom System Ubw abgeleitete Erregungen normalerweise auch zum sensiblen Ende des Apparats weitergeleitet und führen zu dem allgemein als halluzinatorische Wunscherfüllung bekannten Phänomen. Die Strukturtheorie hat die Analogie zwischen dem psychischen Apparat und der Reflexion aufgegeben. Dadurch werden innere Widersprüche und Möglichkeiten der Verwechslung vermieden, die sich aus der Vorstellung eines Vorwärst- und Rückwartsstromens des Energieflusses innerhalb des seelischen Apparates ergeben.

6. Obwohl Freud von Anbeginn an (in der "Traumdeutung") erkannt hat, daβ sich das System Vbw erst allmählich im Lauf des Heranwachsens entwickelt, wird diese Einsicht nicht stark genug betont und erfährt auch im Rahmen der topographischen Theorie zuwenig Beachtung. Die Strukturtheorie dagegen betont nachdrucklich das langsame Heranreifen und die allmähliche Entwicklung der Ich-Funktionen sowie ihren allmählichen Zusammenschluβ zu einer funktionalen Einheit, dem Ich. Sie betont auch die Genese und allmähliche Entwicklung des Über-Ich. Mit anderen Worten, genetische Faktoren und der genetische Gesichtspunkt im allgemeinen nehmen in der Strukturtheorie mehr Raum ein als in der topographischen. Sie spielen dort auch eine bedeutendere Rolle als in der topographischen Theorie. Dieser Unterschied zwischen den zwei Theorien, wenngleich nur ein gradueller, ist unseres Erachtens ausschlaggebend fur ein besseres Verstandnis so wichtiger seelicher Phänomene wie der Regression und des Primär- und Sekundarvorgangs.

7. Es gibt unseres Erachtens noch einen wichtigen Unterschied zwischen den beiden Theorien, auch wenn man darin, wie im soeben erwähnten, nur einen Unterschied der Betonung sieht. Dieser Unterschied betrifft die Vorstellung von der Vielfalt kausaler Faktoren im seelischen Geschehen. Im Rahmen der topographischen Theorie nimmt dieser Gedanke zwar einen bedeutenden Platz ein, ist aber etwas zu eng gefaβt. Er wird durch zwei Begriffe repräsentiert, den der Kompromiβbildung und den der Überdeterminierung. Von den beiden kommt dem Begriff der Kompromiβbildung offenbar etwas mehr Bedeutung zu, da beispielsweise unter jedem neurotischen Symptom ein Kompromiβ zwischen einem sexuellen Wunsch, der sich aus der Verdrängung losgelöst hat, und der Zensur des Systems Vbw verstanden wird. Der Begriff der Überdeterminierung geht in eine etwas andere Richtung. Wenn zum Beispiel ein Traum die Erfüllung von zwei oder drei Wünschen des Systems Ubw darstellt, die in keiner besonderen Beziehung zueinander stehen, sondern lediglich durch den gleichen Traum befriedigt werden, so spricht man von einem überdeterminierten Traum. Er hat dann nicht nur eine einzige, mit der entsprechenden Methode korrekt interpretierbare Bedeutung, sondern bietet zwei oder mehrere voneinander unabhängige Interpretationsmöglichkeiten. In ähnlicher Weise können ein neurotisches Symptom oder eine Fehlleistung überdeterminiert sein.

Im Rahmen der Strukturtheorie spielt jedoch die Vorstellung von einer Vielfalt kausaler Faktoren eine weit gröβere Rolle. Seitdem Waelder (1930) zum erstenmal auf diesen Aspekt des psychischen Geschehens aufmerksam machte, hat man eingesehen, daβ jede Handlung, jeder Gedanke, jeder psychische Akt das Ergebnis eines Kompromisses oder einer Wechselwirkung zwischen den verschiedenen Funktionen der Seele, das heipt zwischen dem Es, dem Über-Ich und dem Ich, ist. Jede Handlung, jede Phantasie, jeder Traum, jedes Symptom ist letzten Endes ein Kompromiβ oder resultiert aus triebhaften Wünschen, moralischen Anspriichen oder Verboten, aus Abwehrmaβnahmen, аüβеrеn Faktoren und so weiter. Es ist wesentlich, dieses Prinzip der vielfältigen Funktionsweise richtig zu verstehen, urn die Begriffe der Struk turtheorie bei klinischen und theoretischen Problemen auch richtig anwenden zu können. Obwohl dieses Prinzip im Grunde genommen nichts Neues ist, ebensowenig wie der genetische Gesichtspunkt, spielt es in der Strukturtheorie eine weit gröβere Rolle als in der topographischen. So viel fiber die gröβeren Unterschiede zwischen den zwei Theorien.

Ähnlichkeiten zwischen den beiden Theorien

1. Beiden Theorien liegt die Vorstellung zugrunde, daβ es zweckdienlich und von Vorteil ist, aus den vielen Inhalten und Vorgängen der Seele eine bestimmte Gruppe herauszulösen, die unter dem Namen psychischer oder seelischer Apparat bekannt ist. Dieser Apparat läβt sich im Hinblick auf seine Funktionen definieren, die in der Einfluβnahme auf die Energien der Seele bestehen und darin, ihre Abfuhr zu ermöglichen oder zu steuern. Die Strukturtheorie und die topographische Theorie haben also insofern eine Ähnlichkeit miteinander, als jede von einem seelischen Apparat spricht.

2. Bei der Erlauterung der Unterschiede zwischen den beiden Theorien haben wir nachdrucklich auf die Bedeutung des zum erstenmal auftretenden Gedankens hingewiesen, daβ es im Grunde zwei Arten von seelischen Energien gibt, die libidinöse und die aggressive. Von dieser wichtigen Ausnahme abgesehen, bestehen jedoch im Hindblick auf ihre die seelische Energie betreffenden Vorstellungen keine Unterschiede zwischen der Struktur- und der topographischen Theorie. Beide Theorien gehen von der Annahme aus, daβ seelische Energie entweder frei oder gebunden sein kann, daβ die Fähigkeit des Individuums, ihre Abfuhr zu verzögern, mit der Zeit zunimmt und daβ durch die Bindung seelischer Energie das Energieniveau angehoben wird, ein Phänomen, das dem Seelenapparat ein präziseres und effektiveres Funktionieren ermöglicht. Kurz, die Libidotheorie ist in alien ihren wesentlichen Teilen sowohl der Struktur- als auch der topographischen Theorie gemeinsam.

3. Nachdem wir die auf den innerseelischen Konflikt bezogenen Unterschiede zwischen den beiden Theorien betont haben, sollten wir hier festhalten, dap sie trotz dieser Unterschiede auch viele Ähnlichkeiten in dieser Hinsicht aufweisen. Beiden Theorien nach liegen jedem neurotischen Symptom wie auch vielen normalen Phänomenen innerseelische Konflikte zugrunde. Beide Theorien betonen die Bedeutung der zwischen den triebhaften und triebhemmenden Kräften der Seele auftretenden Konflikte, und in beiden Theorien spielen Verdrängung und die fur die Verdrangung verantwortlichen seelischen Instanzen eine wichtige Rolle.

4. Die beiden Theorien gehen gleichermaβen von den grundlegenden Prämissen des psychischen Determinismus und der Bedeutung unbewuβter seelischer Vorgänge aus. Ebenso haben beide Theorien die Begriffe der Überdeterminierung, der Kompromiβbildung und der genetischen Determinanten gemeinsam, obwohl diese, wie wir bemerkt haben, in der Strukturtheorie eine weit gröβere Rolle spielen als in der topographischen Theorie.

Erörterung und Schluβfolgerungen

Wir haben die Ähnlichkeiten und die Unterschiede zwischen der topographischen und der Strukturtheorie ercrtert. Beide sind psychoanalytische Theorien. Sie haben mehr miteinander gemeinsam, als jede von ihnen mit irgendeiner nicht psychoanalytischen Theorie des seelischen Geschehens beim Menschen gemeinsam hat. Weshalb behaupten wir dann, daβ die zwei Theorien unvereinbar sind und daβ die Strukturtheorie vorzuziehen ist?

Um es gleich vorwegzunehmen, die beiden Theorien sind nicht nur verschiedenartig, scndernsie widersprechensichgeradezu in vieler Hinsicht. Vielleicht ist es ntitzlich, diese Tatsachen nоch einmal in Erwägung zu Ziehen. Die tоpographische Thecrie zerlegt den Seelenapparat in Funktionseinheiten rаch dеm Kriterium der Zugänglichkeit für das Bewuβtsein. Seelische Elemente, die dem Bewuβtsein nicht zugänglich sind, gehören zusammen und umfassen das System Ubw. Solche Elemente sind ihrem Wesen nach triebhaft und von ihrerr Ursprurg her prirritiv. Sie gehorchen den Gesetzen des Primärvorgangs und treten in seelischen Konfliktsituationen geschlossen als System auf. Das System Ubw dagegen setzt sich aus Elementen zusammen, die dem Bewuβtsein leicht zugänglich sind. Sie üben triebhemmende Funktionen aus, entstehen erst in einer späteren Entwicklungsphase und gehorchen den Gesetzen des Sekundärvorgangs. In Konfliktsituationen leistet die Zensur des Systems Vbw den Abkömmlingen des Systems Ubm Widerstand. Dies ist die Form, in der sich seelischer Konflikt im Rahmen der topographischen Theorie abzeichnet.

Den von der Strukturtheorie aufgestellten Thesen zufolge bietet die oben skizzierte topographische Betrachtungsweise des Konflikts nur einen dem tatsachlichen Geschehen ganz grob angenöherten Wert. Sie bietet ein Bild, das irreführend und widersprüchlich sein kann.

Wir möchten diese letzte Behauptung durch die folgenden Überlegungen veranschaulichen.

1. Pathogene Konflikte repräsentieren nicht ausschlieβlich den Kampf zwischen unbewuβten Triebansprüchen und den sich ihnen widersetzenden triebhemmenden Kräften des Systems Vbw. Ausloser von Konflikten können auch moralische Forderungen sein. Auch die Realität kann Druck ausüben und Konflikte entstehen lassen. Das von der topographischen Thecrie gebotene Verständnis des innerseelischen Konflikts miβt diesen Elementen nicht genügend Gewicht bei. Die topographische Thecrie bietet ein zu vereinfachtes und ungenaues Bild der seelischen Vorgänge in Konfliktsituationen. Die Strukturtheorie erklärt die durch moralische Forderungen ausgelösten Konflikte mit Hilfe ihrer Vorstellung vom "Über-Ich. Auβerdem verbleibt dem Ich im Rahmen der Strukturtheorie genögend Spielraum fur seine Orientierung an der Realität.

2. Triebabkömmlinge können durchaus Zugang zum Bewuβtsein finden. Vergangene, im Kindesalter aufgetretene traumatische Ereignisse lassen sich oft ganz leicht wieder ins Gedachtnis zuriickrufen (Freud, 1926). Andererseits können triebhemmende Kräfte, wie etwaFormen der Abwehr, dem Bewuβtsein unzugänglich sein (Freud, 1923a). Im Hindblick auf die soeben erwähnten Beispiele müβten der topographischen Theorie zufolge die Triebabkömmlinge zum System Vbw und die triebhemmenden Abwehrkrafte zum System Ubw gehören. Hier ist also die Übereinstimmung zwischen triebhaft und unbewuβt einerseits und triebhemmend und vorbewuβt andererseits auf-gehoben.

3. Moralische Forderungen können bewuβt oder unbewuβt sein. Hält man sich streng an die Aussagen der topographischen Theorie, so würden solche Forderungen manchmal in den Bereich des Systems Vbw und manchmal in den Bereich des Systems Ubw fallen. Das heiβt mit anderen Worten, daβ moralische Forderungen, sofern man sich an das Kriterium der Zugänglichkeit für das Bewuβtsein hält, einmal in Verbindung mit triebgebundenen Kräften und ein andermal in Verbindung mit triebhemmenden Kräften auftreten können. Der Strukturtheorie zufolge bilden die moralischen Forderungen jedoch einen Teil eines einzigen Systems, des Über-Ich. Die Vorgange des Über-Ich können sich, wie die eines jeden anderen Teils des seelischen Apparats, manchmal innerhalb des Bereichs des BewujHseins, aber auch auβerhalb dieses Bereichs abspielen. So löst die Strukturtheorie viele Widersprüche, mit denen die topograhische Theorie belastet ist.

4. Ähnliche Schwierigkeiten ergeben sich bei der Zuordnung unbewuβter Phantasien zu einem bestimmten System im Rahmen der topographischen Theorie. Da sie dem Bewuβtsein nicht zugänglich sind und aus sich heraus Abkömmlinge erzeugen können, sollten solche Phantasien eigentlich zum System Ubw gehören. Andererseits sind unbewuβte Phantasien aus eindeutigen Wort- und Objektvorstellungen zusammengesetzt, die sich nach den Gesetzen des Sekundärvorgangs integrieren lassen. Diesen Kriterien zufolge sollten solche Phantasien dem System Vbw angehören. In den unbewuβten Phantasien erkannte Freud (1915 b) ein bedeutendes Element des seelischen Geschehens, dessen Funktionsweise den wesentlichen Kriterien der topographischen Theorie widersprach. Wie Freud (1915 b) bemerkte, ist die Zugänglichkeit für das Bewuβtsein kein Kriterium, das für den Entwurf psychologischer Systeme von Vorteil ist. Diese Überlegungen veranlaβten ihn auch schliepiich, die topographische Theorie durch die Strukturtheorie zu ersetzen und an die Stelle des leitenden Prinzips der Zugänglichkeit für das Bewuβtsein das Prinzip des Konflikts von Funktionen zu setzen, der sich zwischen den Trieben, der Moralität, der Realität und dem Ich abspielt. Die topographische Theorie wurde nicht einfach erweitert, indem strukturelle Begriffe eingefuhrt wurden, sondern sie wurde von Grund auf geändert.

Zu welchen praktischen Konsequenzen fährt diese grundlegende Änderung der Theorie in der Psychoanalyse? In welchem Maβe beeinfluβt sie das Vorgehen des Klinikers bei seiner täglichen analytischen Arbeit? Diese Änderung der Theorie hat sich sehr stark auf die psychoanalytische Methode ausgewirkt. Viele Autoren haben dies betont, wie zum Beispiel Alexander (1930), Freud (1933a), A. Freud (1936), W. Reich (1945), Fenichel (1939), Hartmann (1951), Kris (1951), Loewenstein (1951), R. Sterba (1934), Arlow (1961). Weit mehr Autoren haben jedoch über die Änderungen in der klinischen Praxis durch die Einführung der Strukturtheorie geschrieben.

Im groβen und ganzen ist die Situation wohl die, daβ sich durch die Anwendung der Strukturtheorie das therapeutische Vorgehen von Grund auf geändert hat. Der topographischen Theorie zufolge führt eine miβglückte Verdrängung zur Symptombildung. Es besteht die Gefahr, daβ unbewuβte, triebhafte Wünsche in das Bewuβtsein eindringen. Diesen Abkömmlingen wird der Zugang zum Bewuβtsein versperrt, und im anschlieβenden Konflikt werden verhüllte Ersatzvorstellungen des verdrängten Wunsches in Form von Symptomen abgeführt. Das methodische Vorgehen der Therapie besteht darin, die Verdrängung auβer Kraft zu setzen und den vergessenen Inhalt, insbesondere die Erinnerung an traumatische Ereignisse im Kindesalter, ins Gedächtnis zurückzurufen. Die Aufgabe der Therapie im Rahmen der topographischen Theorie besteht im wesentlichen darin, das Unbewuβte bewuβt zu machen.

Vom Standpunkt der Strukturtheorie aus betracritet, stellen sich die Dinge wesentlich anders dar. Die Strukturtheorie berücksichtigt die Tatsache, daβ der innerseelische Konflikt weit mehr als nur ein Problem der Zugänglichkeit für das Bewuβtsein darstellt, wie dies die topographische Theorie annimmt. Freilich geht die Strukturtheorie nach wie vor davon aus, daβ die Sympthombildung auf einer miβglückten Abwehr mit anschlieβender Kompromiβbildung beruht. Die Strukturtheorie berücksichtigt jedoch einige wichtige klinische Daten, für die die topographische Theorie keine Erklärungen bieten kann. Zunächst kommt hier die Tatsache in Betracht, daβ nicht jede Abwehr dadurch zustande kommt, daβ Triebabkömmlingen der Zugang zum Bewuβtsein versperrt wird. Die Verdrängung ist also nicht die einzige Form der Abwehr. Da auβerdem die Abwehr selbst dem Bewuβtsein nicht immer zugänglich ist, stellt die Analyse dieser Abwehr einen Teil der therapeutischen Arbeit dar. Das Ziel des methodischen Vorgehens ist nicht mehr gleichbedeutend mit der Bewuβtwerdung von Amnesien (Erinnerungslücken), so wichtig eine solche Bewuβtwerdung freilich ist. Auch kann die Abwehr nicht einfach auβer Kraft gesetzt oder umgangen werden, um an die Triebabkömmlinge heranzukommen, denen sie sich widersetzt. Ziel der Therapie ist es, die Formen der Abwehr zuanalysieren, zu verhindern, daβ sich diese Abwehr automatisch abspielt, und die Integration der zuvor abgewiesenen Triebabkömmlinge und der mit ihnen assoziierten Erinnerungen in die normalen Teiledes Ich zu ermöglichen. Diese Änderung in der Therapie wurde von Freud kurz und treffend zum Ausdruck gebracht. Ursprünglich behauptete er, daβ die therapeutische Aufgabe der Psychoanalyse darin besteht, das Unbewuβte bewuβtzumachen. Nach der Einführung der Strukturtheorie formulierte er das therapeutische Ziel mit den Worten: "Wo Es war, soil Ich werden" (1933a).

Auch sollte der Strukturtheorie zufolge die Aufgabe der Behandlung nicht mit der Analyse von Es-Abkömmlingen und Ich-Abwehr abgetan sein. Da die Vorgange des Über-Ich bewuβt oder unbewuät sein können, muβ der Analytiker entsprechende Mühe darauf verwenden, moralische Forderungen aufzuzeigen und zu klären sowie zu zeigen, welche Rolle sie bei der Symptomund Charakterbildung spielen. Wie wir wissen, läβt die regressive Transformation von Über-Ich-Abkömmlingen die Vorgange des Über-Ich oft ebenso impulsiv und widerstrebend wie die Abkömmlinge des Es erscheinen. Ein weiterer mit der Strukturtheorie eingeführter methodischer Ansatz bietet sich in der Auflösung selbststrafender Bestrebungen des Über-Ich, um dadurch dem Ich das Fällen rationaler Werturteile zu erleichtern. Die Strukturtheorie führt uns mit anderen Worten die groβe Bedeutung vor Augen, die, darin besteht, das zu analysieren, was immer von den Manifestationen des Über-Ich sich als ein Teil des pathogenen Konflikts erweist. Durch Freuds Revision seiner Theorie der Angst (1926), die im Anschluβ an die Einfuhrung der Strukturtheorie erfolgte und auf sie gestützt war, sahen wir uns schlieβlich veranlaβt, unsere Vorstellung von der therapeutischen Aufgabe der Analyse noch dadurch zu ergänzen, daβ wir zusätzlich die Notwendigkeit sehen, die Motive der Abwehr, das heiβt das Wesen der Gefahren zu analysieren, die das Ich durch seine Abwehrmaβnahmen zu vermeiden sucht.

Wir sind uns also darüber im klaren, daβ die den innerseelischen Konflikt und die Sympthombildung betreffenden Neuerungen der Strukturtheorie zu einer grundlegenden Revision dessen führen, was als therapeutische Aufgabe der Analyse betrachtet wird. Der topographischen Theorie nach besteht die therapeutische Aufgabe im wesentlichen darin, dem Patienten die infantilen, triebhaften Wünsche, die seine pathogenen Konflikte entstehen lassen, bewuβt zu machen. Der Strukturtheorie zufolge ist es wichtig, dem Patienten nicht nur die triebhaften Aspekte seiner Konflikte bewuβt zu machen, sondern auch die an ihnen beteiiigten Aspekte der Abwehr und des Über-Ich, wobei sorgfältig auf die dabei mitspielenden Inhalte der Angst zu achten ist. All dies zu berucksichtigen ist notwendig, urn die integrativen und steuernden Funktionen des Ich zu fördern, so daβ dem Patienten eine angemessene Abfuhr seiner Triebenergie, das heiβt eine angemessene Triebbefriedigung ohne Symptombildung, möglich ist.

Wir hoffen, daβ es uns durch den Vergleich der zwei Theorien gelungen ist, unmiβverständlich zu zeigen, warum sie nicht nur verschieden, sondern miteinander auch unvereinbar sind, das heiβt, in wichtigen Ansätzen einander widersprechen. Wir behaupten fest, daβ die topographische Theorie und die Strukturtheorie weder beliebig noch nebeneinander verwendet werden können. Allein die Strukturtheorie ist derzeit die geeignete Grundlage sowohl für theoretische Diskussionen als auch für die psychoanalytische Praxis.

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